Texte, Objekte, Plakate
Zwischen Fläche und Raum
Von Dietrich Roeschmann
Badische Zeitung, 21.10.2021
Mit utopischem Potenzial: Neue Arbeiten von James Geccelli in der Freiburger Galerie G.
Es gibt endlos viele Möglichkeiten, die Erdoberfläche zu überqueren, ihre Topografie kennt keine Grenzen. Und doch ist sie begrenzt in ihrer horizontalen Ausdehnung. 510 Millionen Quadratkilometer, mehr Platz gibt es nicht. Das heißt: Als Fläche ist die Erde aufgrund ihrer Kugelform unendlich, als Raum hingegen ist sie definitiv endlich. Landkarten bringen diese Gleichzeitigkeit von Be- und Entgrenzung auf sinnfällige Weise auf den Punkt. Was sie abbilden, ist ein klar umrissener Ausschnitt des Raumes, der sie – exakt vermessen – umgibt und der doch nirgendwo endet. Der in Berlin lebende Maler James Geccelli bewegt sich mit seinen Arbeiten schon seit langem in dieser Übergangszone zwischen dem realen Raum und dem Bildraum. Was ihn interessiert, ist die Erkundung der Bildgrenze als Schwelle der Orientierung zwischen Fläche und Raum. Nicht zufällig vergleicht er seine aktuellen Papierarbeiten, die derzeit mit einer Auswahl kleinformatiger Malereien in der Freiburger Galerie G zu sehen sind, mit an der Wand hängenden Landkarten. Entlang eines oft kaum wahrnehmbaren Horizonts zusammengesetzt aus zwei Bildhälften, sind die Bögen überzogen von scheinbar ungeformten Farbspuren, beiläufigen Bleistiftstrichen, Druckstellen und Schnitten, die manchmal wie Flüsse über das Papier mäandern, manchmal den Grat einer Faltung markieren oder winzige Inseln einer anderen Papiersorte einfrieden, die bündig in die Fläche eingefügt sind wie Flicken bei in traditioneller Technik ausgeführten Teppichreparaturen. Ist es in seiner Malerei ein langwieriger Prozess des Schichtens, Schleifens und erneuten Überarbeitens, der zum Bild führt, entstehen Geccellis Papierarbeiten in der Engführung von malerischen, zeichnerischen und plastischen Mitteln, von Collage, Relief und zugleich dem Versuch der Aufhebung ihrer Effekte.
Auf wunderbar zarte Weise balancieren diese großformatigen Arbeiten so zwischen Komposition und Patina, Setzung und Spur, Farbreiz und Materialität. Was die Bildränder hier eingrenzen, ist die Vorstellung der unendlichen Möglichkeit von gleichzeitigen, hierarchiefreien Beziehungen zwischen den unterschiedlichsten Formen der Anwesenheit in Fläche und Raum. So gesehen hätten diese Bilder auch als Landkarten ein utopisches Potenzial.
An der Grenze zum Nichts
Von Herbert M. Hurka,
Badische Zeitung, 3. Juni 2019
Die Freiburger Galerie G zeigt Papierarbeiten von James Geccelli, die den traditionellen Bildbegriff bewusst verschieben.
Der Satz „Etwas geschieht gleichzeitig mit etwas anderem“ signalisiert Prozess und Bewegung. Besonders bei den Papierarbeiten von James Geccelli, die neben Kleinformaten auf Holz in der Freiburger Galerie G unter diesem Titel laufen, verschiebt sich, wenn auch unscheinbar, der traditionelle Bildbegriff. So rückt bereits mit der Betonung seiner Materialeigenschaften das Papier aus der üblichen Verfügbarkeit als Zeichen- oder Malfläche in den Vordergrund. Bögen, noch ein Stück größer als DIN A0, sind durchzogen von Falzen, die als Liniensysteme nicht nur eine indirekte Grafik, sondern auch geometrisch strenge Binnenflächen erzeugen, denn das dominierende Weiß assoziiert sich nur allzu leicht mit einer im Endlosen sich verlierenden Leere.
Entsprechend wächst die Herausforderung, dieser Leere gegenzusteuern, noch dazu mit einer Malerei, die sich ohnehin an der Grenze zum Nichts bewegt. Scheinbar wie zufällig auf das Papier geratene Flecken, Sprenkel, Tupfen, Punkte – ökonomisch stabilisiert durch Miniaturquadrate und -rechtecke – kippen zurück auf eine Vorstufe der Malerei oder am Gegenpol auf deren letzte Spuren.
Und doch geht es um das Gegenteil von Zufall, denn jeden noch so marginal erscheinenden Input versteht der 1958 geborene James Geccelli als eine bewusste Setzung, die nicht nur im Raster der Faltungen funktionieren muss, sondern ebenso auf der gesamten Malfläche sowie in der unmittelbaren Umgebung schon vorhandener Einträge
Falls nicht, wird das inakzeptable Einsprengsel einfach herausgeschnitten und das Leck von der Rückseite zugeklebt, wobei das entfernte Element in der Schnittkontur und dem oftmals andersartigen Papier aufgehoben bleibt.
Die Dynamik zweier Kalküle schafft die Voraussetzung, dass die Leere und eine Malerei nahe dem Nullpunkt sich zu einer Intensität verdichten, die den Blick auf fast unerklärliche Weise festhält. Einmal sind das die starken Farbsignale Orange, Hellgrün und Gelb, dann die zwar sparsamen, aber ausdrücklichen Markierungen des Bildrandes, die dem scheinbaren Gestiebe einer in Auflösung begriffenen Malerei Halt geben. In der Schwebe belassene Tage – darauf könnten die asketischen Bildtitel verweisen, indem sie wie „13. März 2019“ lediglich das Arbeitsdatum vermerken.
Für Suse Wiegand, DABEI – viele tage lang buch
Zirkel und Schlauch
Was passiert da mit Zirkel und Schlauch? Wenn ich das, was ich sehe, versuche zu beschreiben, gehe ich da nicht schon mit den Worten „Zirkel und Schlauch“ von einer Aufgabe aus, einer Funktion in einem größeren Ganzen, dem die so bezeichneten Dinge zugehören? Aber die Figur aus Zirkel und Schlauch gehört diesem Ganzen nicht richtig an, sie liegt eher daneben.
Er war früher Teil einer monumentalen Gruppe in einer durchdachten Anordnung von Sinnbildern des Soldatenlebens, der Künste, der Wissenschaften, der Handwerker. Eigentlich ein barockes Instrument: der Stech- oder Reißzirkel. Hier einer mit Stellschraube, einer Schraube, die nicht nur zur Feststellung, sondern auch zur Sicherung des Abstands zwischen den Schenkeln angebracht ist. Ich sehe die Hand, wie sie wie ein geübter Handwerker den Zirkelkopf sicher umfasst und mit einer leichten Drehung des Handgelenks aus dem festen Stand des einen Schenkels in einem Punkt, mit der Spitze des anderen Schenkels quasi um sich selbst in die Oberfläche des Materials den fließenden Punkt der Maßlinie reißt. Das ewige Schweigen der unendlichen Räume hat dem barocken Menschen das Schaudern gelehrt. Hier nun zieht die sichere Hand die Maßlinie für ein Werkstück, um mit ihm eines der vielen Dinge herzustellen, um dem maßlos gewordenen Raum, der diese Dinge umgibt, ein Maß zu geben. Die Zeugungskraft des Punktes, jedes Ding ist in ihm und geht von ihm aus.
Die Figur aus Reißzirkel und Schlauch bildet jedoch hier eine andere Situation. In der Krümmung des transparenten Schlauchs sehe ich hinein in einen Hohlraum, einen trüben Innenraum. Dem Zirkel ist dort jede Grundlage, jeder Halt entzogen. Ja, es ist, als ob die beiden Spitzen des Zirkels sich in dieser Schlaufe auf sich selbst zurück biegen würden und es entsteht der Eindruck, als sei damit auch die Expansionsbewegung des Punktes in sich selbst zurück gebogen. Kein Zentrum, keine Peripherie, die eine geometrische Beziehung eingehen könnte: es zeigt sich die Unmöglichkeit einer solchen Beziehung. Geschlossen gegenüber dem Rest, ohne Öffnung auf etwas anderes. Nur die Transparenz des Materials gibt mir an dieser Stelle den Blick frei und macht mich in diesem Moment in eigenartiger Weise zu einem Zeugen. Aber zu einem Zeugen von was? Zu einem Zeugen eines Blicks. Vielleicht zum Zeugen meines Blicks. Für einen Moment ist der Blick auf sich selbst verwiesen, ein Gefühl von Nacktheit, gefangen im eigenen Blick. Wie in der Schlaufe, in der die beiden Spitzen des Zirkels sich aufeinander beziehen, als würde sich die Sicht des einen Auges zurück biegen in die Sicht des anderen: ein Hohlraum des Blicks ohne Gegenstand, ein Blick ohne Entfernung.
James Geccelli Berlin 2013
Zu Christoph Maulers Buchobjekten
Die der Form des Buches innewohnende Linearität der Schrift wird bei den Buchobjekten von Christoph Mauler im Akt des Malens mit der Simultanität der Geste konfrontiert. Was sukzessive und was simultan ist, ist hier nicht entgegengesetzt. Es bildet sich vielmehr eine in sich verwobene, eine in sich spiegelnde Struktur, die sich mit der Geste, der Geste des dargestellten Sujets einerseits und der Geste des Malens andererseits, ereignet.
Das Sujet hat Christoph Mauler aus der medialen Darstellung der Warenwelt, Verpackungen und deren Reproduktion in den Printmedien, entwickelt. Eher grob gespritzt, manchmal wie angeworfen, ist der Farbauftrag, matt und unbunt zwischen schwarz und weiß, hält sich die Farbigkeit.
Wie sich im Buch die Dinge als Relief oder Abweichung aus der Fläche entfalten, wie sie als berührbare Körper aus der Seite des Buches mir entgegenklappen, bleiben dennoch die Dinge entfernt von mir und ich bleibe entfernt von ihnen. Aber diese Distanz erweist sich als seltsame Nähe. Mit und in der Zeit, die sich zwischen der Geste des Malens und der Darstellung der Geste ereignet, zeigt sich eine Ambivalenz zwischen Faszination und Verwirrung.
Es heißt, dass eine Praxis im Umgang mit den Dingen eine wesentliche Quelle von Sprache ist, indem der Umgang mit den Dingen eine strukturelle Übereinstimmung des Körpers mit den Regeln und Anforderungen des Gebrauchs bildet. Die Geste des Malers hat hier die Ordnung der Bezüge verschoben. Die Buchobjekte von Christoph Mauler führen mich an den Rand einer sprachlosen Praxis, als würde hier die Bewegung für einen Moment innehalten, bevor das Ineinandergreifen von Sprache und Praxis sich schließt.
James Geccelli Berlin 2010
On Christoph Mauler’s book objects
In Christoph Mauler’s book objects the linearity of writing inherent in the form of the book is confronted with the simultaneity of gesture in the act of painting. What is successive and simultaneous is not contradictory here. Rather, an interwoven, reflecting structure is created, which occurs with the gesture, the gesture of the depicted theme on the one hand and the gesture of painting on the other.
Christoph Mauler developed the theme from the media representation of the world of goods, packaging and its portrayal in print media. Rather roughly sprayed, sometimes as if thrown on, the colour application is matt and uncoloured, somehow lingering between black and white.
Despite things unfolding in the book as relief or deviation from the surface, and how they fold towards me as tangible bodies from the page of the book, they nevertheless remain distant from me and I remain distant from them. But this distance proves to be an inexplicable closeness. With and during the time that occurs between the gesture of painting and the representation of the gesture, an ambivalence between fascination and confusion appears.
It is said that actual practice when dealing with things is an essential source of language, in that dealing with things forms a structural agreement of the body with the rules and requirements of usage. The painter’s gesture has shifted the order of relations here. Christoph Mauler’s book objects lead me to the edge of a speechless practice, as if the movement pauses here for a moment before the interweaving of language and practice closes.
James Geccelli Berlin 2010
Translation by Megan Hayes with thanks to icon-verlag