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Diesseits der Einfachheit.

von Ralph Ubl, Basel

Ein erster provisorischer Zugang zu Geccellis Bildern, der schon in einem zweiten Schritt korrigiert werden muss, könnte zwischen zwei Verfahren unterscheiden: der weißen Grundierung einerseits, den bunten Linien andererseits. Jene gleicht das Gemälde der Wand an, diese durchmessen das Bildfeld in waagerechter Richtung, wiederholen die obere und untere Bildkante und deuten zudem verschiedene Möglichkeiten eines Horizonts an, der wiederum auf die Position eines Betrachters vor dem Bild verweist. Wäre das nicht eine Begründung der Malerei, die uns lehren könnte, dass der Einsatz von zwei Elementen – weiße Grundierung, farbige Linie – bereits beide Orientierungen des Bildes – die lateral-wandseitige und die frontal-betrachterseitige – nicht nur markiert, sondern auch bereits miteinander verschränkt? Aber genau genommen gibt es in Geccellis Bildern keine Elemente der Malerei. Was als einfachster Baustein gelten mag, erweist sich immer als ungeschieden, wandelbar, instabil. Geccellis Arbeit beginnt vor der Einfachheit, da das Sichtbare noch nicht unterteilt und daher auch noch nicht zusammengesetzt ist.

Geccellis Verfahren sind weder elementar noch gesichert, ebenso wenig streng und starr. Ihre Anschmiegsamkeit zeigt sich nicht nur in der intimen Nähe von Bild und Wand; auch die Richtungswerte folgen nicht der harten Logik, die das Bildformat vorzugeben scheint. Mitunter krümmt sich eine Linie, vom Rand auf- oder absteigend, andere Linien überkreuzend, anpeilend oder von ihnen abzweigend. Damit verliert eine elementare Unterscheidung, die wir treffen zu können glaubten, ihre Geltung: die zwischen aufrechtem Betrachter und waagerechter Horizontlinie. Sobald sich die Linie krümmt, erscheint sie auch gezogen. Was zunächst als rein optische Grenze erschien, die oben und unten unterscheidet, gewinnt nun ein wenig von der räumlichen und auch plastischen Kraft eines zeichnerischen Strichs. Die Linie zeugt nun nicht mehr ausschließlich von der Betrachtung, sondern ebenso von einer körperlichen Bewegung. Die Linie ist demnach nichts Elementares, vielmehr ein Indifferenzphänomen, das sich erst nachträglich verzweigt in Gesehenes und Gezogenes, in Optisches und Körperliches. Ähnlich verhält es sich mit dem Grund. So ist es schon viel zu einfach, den Grund als gegebene und stabile Größe anzunehmen. Zweifellos hat der Maler zunächst den Bildträger gespachelt und weiß grundiert, er hat aber auch die farbigen Linien wieder soweit mit Weiß übermalt, dass ihre grafische und koloristische Wirkung mehr oder weniger stark gedämpft wird. Einen Grund legen, heißt für Geccelli also nicht nur, die Fläche für die Zeichnung zu präparieren; nicht weniger wichtig ist, dass die Zeichnung wieder in diesem Grund versinken kann, der sich unversehens von der festen Unterlage in eine wolkige Umhüllung transformiert. Der Boden der Malerei ist auch ihr Schleier.

Wenn wir Geccellis Bilder so betrachten, dass wir zwischen Grundierung und Übermalung unterscheiden, haben wir allerdings eine ganz spezielle Einstellung unserer Wahrnehmung vorgenommen, die es uns erst erlaubt, die verschiedenen Verarbeitungsweisen der Farbe zu identifizieren. Auch das kann nur ein vorläufiger Zugang sein, der jene Erfahrung vorbereitet oder unterbricht, zu der Geccellis Malerei hinführt: Sie zeigt uns eine Welt, in der ein solcher Akt der Identifizierung noch nicht stattgefunden hat, demzufolge wir dem Weiß diese oder jene Funktion zuschreiben können. Das Weiß öffnet vielmehr einen Raum der Indifferenz, der verschiedene Zustände annimmt und verschiedene Artikulationsweisen andeutet, ohne dass eine Unterscheidung bereits definitiv gezogen wäre.

Ob das Weiß die weißen Linien überdeckt, ob es einen Raum schafft, der sich als Schleier oder Wolke ausbreitet, oder ob es wieder die Materialität eines Wandanstrichs annimmt – keine dieser Möglichkeiten wird sich in einer Bildwahrnehmung verfestigen, die sich der metamorphotischen Kraft des Sichtbaren anvertraut.

Geccelli hält zu Recht fest, eine Erfahrung machen würde auch immer bedeuten, „dass sich die Erfahrung in der Möglichkeit ihres Ausdrucks erst findet“. Es kann daher auch für den Betrachter nicht sinnvoll sein, die Wahrnehmung des Bildes ganz von dessen Produktion abzukoppeln. Insbesondere ein Sehen, das mit der Instabilität des Visuellen nicht nur rechnet, sondern deren verschiedenen Phasen und Zuständen auch zu folgen versucht, ist mit dem Imaginären verbunden. Es speist sich aus Vorstellungen, die vom Herstellen des Bildes handeln:

Zuerst war es der Maler, der sich dieser ebenso subtilen wie wandelhaften Macht des Weißes hinzugeben verstand. Wenn er grundiert, farbige Linien zieht und diese wieder überdeckt, kann er während des Malvorgangs nie wissen, wohin ihn dieser geführt hat. Jede Linie, jede Farbwahl und nicht zuletzt jede Übermalung kann in der Zerstörung dessen, was bereits geschaffen wurde, enden. Wenn wir das Weiß als Grundlage und Schleier, Raum und Wand wahrnehmen, spüren wir auch immer das Risko der Neutralisierung, welches mit dem Gebrauch dieser Farbe verbunden ist. Es ist eben diese Gefahr, die Geccelli sucht: weil sie allein es auch erlaubt, ein neues Bild zu malen.

Zwischen Fläche und Raum

Von Dietrich Roeschmann
Badische Zeitung, 21.10.2021

Mit utopischem Potenzial: Neue Arbeiten von James Geccelli in der Freiburger Galerie G.

Es gibt endlos viele Möglichkeiten, die Erdoberfläche zu überqueren, ihre Topografie kennt keine Grenzen. Und doch ist sie begrenzt in ihrer horizontalen Ausdehnung. 510 Millionen Quadratkilometer, mehr Platz gibt es nicht. Das heißt: Als Fläche ist die Erde aufgrund ihrer Kugelform unendlich, als Raum hingegen ist sie definitiv endlich. Landkarten bringen diese Gleichzeitigkeit von Be- und Entgrenzung auf sinnfällige Weise auf den Punkt. Was sie abbilden, ist ein klar umrissener Ausschnitt des Raumes, der sie – exakt vermessen – umgibt und der doch nirgendwo endet. Der in Berlin lebende Maler James Geccelli bewegt sich mit seinen Arbeiten schon seit langem in dieser Übergangszone zwischen dem realen Raum und dem Bildraum. Was ihn interessiert, ist die Erkundung der Bildgrenze als Schwelle der Orientierung zwischen Fläche und Raum. Nicht zufällig vergleicht er seine aktuellen Papierarbeiten, die derzeit mit einer Auswahl kleinformatiger Malereien in der Freiburger Galerie G zu sehen sind, mit an der Wand hängenden Landkarten. Entlang eines oft kaum wahrnehmbaren Horizonts zusammengesetzt aus zwei Bildhälften, sind die Bögen überzogen von scheinbar ungeformten Farbspuren, beiläufigen Bleistiftstrichen, Druckstellen und Schnitten, die manchmal wie Flüsse über das Papier mäandern, manchmal den Grat einer Faltung markieren oder winzige Inseln einer anderen Papiersorte einfrieden, die bündig in die Fläche eingefügt sind wie Flicken bei in traditioneller Technik ausgeführten Teppichreparaturen. Ist es in seiner Malerei ein langwieriger Prozess des Schichtens, Schleifens und erneuten Überarbeitens, der zum Bild führt, entstehen Geccellis Papierarbeiten in der Engführung von malerischen, zeichnerischen und plastischen Mitteln, von Collage, Relief und zugleich dem Versuch der Aufhebung ihrer Effekte.

Auf wunderbar zarte Weise balancieren diese großformatigen Arbeiten so zwischen Komposition und Patina, Setzung und Spur, Farbreiz und Materialität. Was die Bildränder hier eingrenzen, ist die Vorstellung der unendlichen Möglichkeit von gleichzeitigen, hierarchiefreien Beziehungen zwischen den unterschiedlichsten Formen der Anwesenheit in Fläche und Raum. So gesehen hätten diese Bilder auch als Landkarten ein utopisches Potenzial.

An der Grenze zum Nichts

Von Herbert M. Hurka,
Badische Zeitung, 3. Juni 2019

Die Freiburger Galerie G zeigt Papierarbeiten von James Geccelli, die den traditionellen Bildbegriff bewusst verschieben.

Der Satz „Etwas geschieht gleichzeitig mit etwas anderem“ signalisiert Prozess und Bewegung. Besonders bei den Papierarbeiten von James Geccelli, die neben Kleinformaten auf Holz in der Freiburger Galerie G unter diesem Titel laufen, verschiebt sich, wenn auch unscheinbar, der traditionelle Bildbegriff. So rückt bereits mit der Betonung seiner Materialeigenschaften das Papier aus der üblichen Verfügbarkeit als Zeichen- oder Malfläche in den Vordergrund. Bögen, noch ein Stück größer als DIN A0, sind durchzogen von Falzen, die als Liniensysteme nicht nur eine indirekte Grafik, sondern auch geometrisch strenge Binnenflächen erzeugen, denn das dominierende Weiß assoziiert sich nur allzu leicht mit einer im Endlosen sich verlierenden Leere.

Entsprechend wächst die Herausforderung, dieser Leere gegenzusteuern, noch dazu mit einer Malerei, die sich ohnehin an der Grenze zum Nichts bewegt. Scheinbar wie zufällig auf das Papier geratene Flecken, Sprenkel, Tupfen, Punkte – ökonomisch stabilisiert durch Miniaturquadrate und -rechtecke – kippen zurück auf eine Vorstufe der Malerei oder am Gegenpol auf deren letzte Spuren.

Und doch geht es um das Gegenteil von Zufall, denn jeden noch so marginal erscheinenden Input versteht der 1958 geborene James Geccelli als eine bewusste Setzung, die nicht nur im Raster der Faltungen funktionieren muss, sondern ebenso auf der gesamten Malfläche sowie in der unmittelbaren Umgebung schon vorhandener Einträge

Falls nicht, wird das inakzeptable Einsprengsel einfach herausgeschnitten und das Leck von der Rückseite zugeklebt, wobei das entfernte Element in der Schnittkontur und dem oftmals andersartigen Papier aufgehoben bleibt.

Die Dynamik zweier Kalküle schafft die Voraussetzung, dass die Leere und eine Malerei nahe dem Nullpunkt sich zu einer Intensität verdichten, die den Blick auf fast unerklärliche Weise festhält. Einmal sind das die starken Farbsignale Orange, Hellgrün und Gelb, dann die zwar sparsamen, aber ausdrücklichen Markierungen des Bildrandes, die dem scheinbaren Gestiebe einer in Auflösung begriffenen Malerei Halt geben. In der Schwebe belassene Tage – darauf könnten die asketischen Bildtitel verweisen, indem sie wie „13. März 2019“ lediglich das Arbeitsdatum vermerken.